Stückbeschreibung
Der Autor Simon Stephens: "Ich
habe noch nie ein Stück über zwei Figuren geschrieben,
denen es zusammen besser geht als es jedem für sich allein
ging."
Der Physiker Heisenberg kommt nicht vor in dem Stück, das wie
Ben Brentley in der New York Times am 13.10.2016 schreibt, den Zuschauer
noch "beschäftigt, nachdem es schon längst zu Ende
ist", und es geht auch nicht um Quantenphysik. Simon Stephens,
einer der - auch an deutschsprachigen Theatern - meistgespielten
britischen Gegenwartsautoren, ist ein Meister, wenn es darum geht,
einem Stück Rhythmus und Tempo zu geben. Bei der Kritikerumfrage
von Theater heute 2006, 2007, 2008, 2011 und 2012 wurde er zum wichtigsten
ausländischen Dramatiker gewählt. 2008 wurde sein Drama
"Wastwater" zusätzlich als ausländisches Stück
des Jahres ausgezeichnet.
Unterschiedlicher kann es nicht sein, das Paar,
dessen ungewöhnliche (Liebes-) Geschichte auf einem Bahnhof
beginnt, als ein Mann scheinbar zufällig auf den Nacken geküsst
wird. Und plötzlich "steht die Bühne unter Strom"
(B. Brentley). Sie, GEORGIE (Anfang 40, quirlig, impulsiv, gesprächig,
kontaktfreudig und trotzdem einsam) beginnt, das pedantisch geordnete
Leben von ihm, ALEX (Mitte 70, verschlossen und seit seiner einzigen
großen Jugendliebe, die einen anderen heiratete, alleinlebend)
durcheinander zu wirbeln. Während er mehr oder weniger befremdet
und genervt auf die vielen Geschichten reagiert, die sie ungefragt
über sich erzählt, ist er gleichzeitig gegen seinen Willen
beunruhigt und fasziniert von der unbändigen Energie der charmanten
Nervensäge. Dabei weiß er - ebenso wenig wie das Publikum
-, welche der immer wieder anders erzählten Details aus ihrem
Leben Realität sind, mit welchen sie ihn nur provozieren will
und welche nur ihrer Phantasie entspringen.
"Stephens mag Überraschungen, und "Heisenberg"
ist voll davon", schreibt Alexis Soloski in The Guardian am
04.06.2015.
Und so merkt Alex irgendwann, dass
die Begegnung offenbar doch kein Zufall war. Georgie verfolgt also
einen Plan: "Ich habe kein Geld. Du schon." Hat sie sich
nur verplappert oder ist sie wirklich eine Killerin, die es auf
sein Geld abgesehen hat? Denn sie braucht Geld. Genauer gesagt:
Sie braucht viel Geld. Exakt 15.000 Pfund. Ein Vertrauensbruch.
Trotzdem gibt ihr Alex das Geld mit der verblüffenden Begründung:
er hat Angst, "sich in sie zu verlieben", und er "will
nicht, dass das passiert". Zwei Monate später klingt das
Stück mit einem zauberhaft poetischen Happy End aus, dem man
sich nicht entziehen kann und nicht entziehen will. In wunderbarer
Unbesorgtheit lässt der von Georgie "psychopathisches
Gewohnheitsmonster" genannte Alex sich zum ersten Mal in seinem
Leben auf ein Abenteuer ein und fährt mit ihr nach New Jersey,
um dort ihren Sohn zu suchen. Und so sind in diesem wunderbaren
modernen Märchen Alex und Georgie in einem Moment unerwarteten
Glücks während eines ohne Musik getanzten Tangos nicht
mehr nur durch ihre Einsamkeit verbunden.
In "Heisenberg", diesem wunderbar melancholischen, modernen
Märchen, nähert sich Dramatiker Stephens seinen Personen
mit Verständnis, Neugier, Nachtsicht und Zärtlichkeit.
Und er findet mit Georgie und Alex zwei Figuren, die man im Theater
schon lange nicht mehr gesehen hat. Sie verzaubern den Theaterbesucher
nicht nur durch ihre Widerspenstigkeit, sondern auch durch ihre
ganz eigene Weise, mit der sie um die Verwirklichung ihres Traums
vom privaten Glück kämpfen.
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